Sébastien Gagneux vom Swiss TPH ist ein gefragter Experte, wenn es um eine Krankheit geht, die man in der Schweiz längst als besiegt glaubte: Tuberkulose (TB). Hierzulande nehmen die TB-Fälle vor allem auch bei Ausländern zu. Doch das Problem sei nicht die Migration, sondern die fehlenden Investitionen in die Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika, sagt Gagneux.
Herr Gagneux, in den letzten Jahren sind auch in der Schweiz vermehrt Fälle von Tuberkulose aufgetaucht. Ein alarmierender Befund?
«In der Schweiz war man sich des Problems nicht bewusst, weil vor allem arme und bevölkerungsreiche Länder wie Indien, China oder Nigeria die meisten TB-Opfer zu beklagen haben. Das führte dazu, dass die Pharmaforschung in den letzten Jahrzehnten nur ge-
ringfügig in die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe investierte. Weil dafür schlicht ein Markt fehlte.»
Bezahlen wir heute die Zeche für dieses Versäumnis?
«Grund zur Besorgnis geben vor allem die hochresistenten TB-Stämme, die eine erfolgreiche Behandlung schwierig machen. Gerade in Ländern der Ex-Sowjetunion beobachten wir immer häufiger Bakterien, die mit herkömmlichen Antibiotika nicht bekämpft werden können. Betroffen sind hier vor allem ehemalige Sträflinge, welche die Krankheit nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in die Gesellschaft tragen.»
Besteht im Zuge der globalen Migration auch für die Schweizer Bevölkerung ein Ansteckungsrisiko?
«Migranten, Drogenabhängige oder Obdachlose waren schon immer die grössten Risikogruppen in westlichen Ländern. In der Regel geht von diesen Gruppen aber keine Gefahr für die Mehrheitsbevölkerung aus. Für eine Tuberkulose-Infektion muss man dem Erreger lange ausgesetzt sein, also zum Beispiel unter dem gleichen Dach mit einem infektiösen Patienten leben. Deshalb dachte man früher auch, die TB sei eine Erbkrankheit, weil vor allem Mitglieder derselben Familie erkrankten.»
Was kann man tun, um das Tuberkulose-Risiko in den Griff zu bekommen?
«Sicher darf das Thema nicht politisch instrumentalisiert werden. Auch ist Panik ein schlechter Ratgeber. Wir müssen garantieren, dass die TB-Patienten vor Ort rasch diagnostiziert und richtig behandelt werden. Dazu brauchen wir allerdings weitere Innovationen bei der Entwicklung neuer Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe.»
Das Swiss TPH: Globale Tuberkulose-Forschung in Georgien, Tansania und der Schweiz
TB-Forschende am Swiss TPH ergründen die Eigenschaften von Mycobacterium tuberculosis und seine Übertragungsmechanismen an vielen Schauplätzen der Welt. In Georgien zum Beispiel liegt der Fokus auf der Analyse hochresistenter TB-Stämme. «Wir wissen noch kaum, weshalb und wie die Bakterien Resistenzen ausbilden», sagt Gagneux. Ein solches Wissen ist aber gerade für die Entwicklung neuer Generationen von Wirkstoffen essenziell. Ein idealer For-
schungsstandort ist auch Tansania. Das ostafrikanische Land zeichnet sich durch eine grosse genetische Diversität in Menschen wie auch durch eine solche Diversität der Bakterien aus. Gagneux und seine Kollegen vermuten: Durch eine lange co-evolutive Beziehung zwischen dem Mycobacterium tuberculosis und dem Menschen sind die Erreger in gewissen menschlichen Populationen verbreiteter als in anderen. Eine Langzeit-Kohorte vermag Aufschluss über diese Hypothese zu geben.
Sébastien Gagneux ist einer der renommiertesten Tuberkulose-Forscher weltweit. Nach einem PhD an der Universität Basel (2001) forschte er als Postdoc an der University of Stanford, Kalifornien und dem Institute for Systems Biology in Seattle, bevor er als Programmleiter an das MRC National Institute for Medical Research in London wechselte.
Heute ist Gagneux Associate Professor der Universität Basel und leitet das Departement «Medical Parasitology and Infection Biology» des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH). Für seine Verdienste für die Erforschung und Kontrolle der Tuberkulose wurde er 2019 mit dem «Gardner Middlebrook Award» ausgezeichnet.
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