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«Es ist unverantwortlich, ein konkretes Datum für eine Malaria-Ausrottung zu nennen»

Am 23. August 2019 veröffentlichte die Strategic Advisory Group on Malaria Eradication (SAGme) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Bericht zur Möglichkeit der weltweiten Malaria-Ausrottung. Der Epidemiologe und Gesundheitsexperte Marcel Tanner hat die Expertengruppe im Auftrag des Generaldirektors der WHO in den letzten drei Jahren geleitet. Ein Gespräch über die tödliche Krankheit, Innovationen und die Chancen auf ein Leben in einer malariafreien Welt.



Herr Tanner, in den letzten Jahren waren grosse Erfolge im Kampf gegen die Krankheit zu verzeichnen. Leben wir bald in einer Welt ohne Malaria?

«Die wichtigste Botschaft des SAGme-Berichts ist: Eine Malaria-Ausrottung ist möglich und das Ziel darf auf keinen Fall aufgegeben werden. Doch unsere Aufgabe war es, das Ziel wissenschaftlich zu bewerten, was auch dazu führte, dass die Nennung eines konkreten Datums einer möglichen Ausrottung wissenschaftlich nicht verantwortbar ist.»


Der Report geht davon aus, dass man bis 2050 noch 11 Millionen Malaria-Infektionen weltweit zu vergegenwärtigen habe. Ein ernüchterndes Resultat?

«Nein, denn man darf nicht vergessen, dass die kommenden Jahre auch ein starkes Bevölkerungswachstum zeitigen werden. Zudem hat die Erfahrung in den letzten Jahren gezeigt: Mit Moskitonetzen, besserer und früherer Diagnostik gefolgt von einer wirksamen

Behandlung ist man in den stark von Malaria verseuchten Gebieten rasch erfolgreich. Schwieriger wird es, wenn man die Infektions- und Sterblichkeitsrate noch weiter runtertreiben möchte. Dann muss man sich den wirklich letzten Übertragungsgebieten widmen und die Interventionen auf Distriktebene zuschneidern. Das bedeutet aber auch einen ganz anderen Einsatz und Verteilung finanzieller Ressourcen.»


Überraschenderweise bringen uns auch die globalen Megatrends wie der Klimawandel, die Migration oder die rasante Urbanisierung dem Ziel einer Malaria-Ausrottung ein Stückchen näher.

«In der Tat scheinen sich diese Trends langfristig positiv auf das Ziel einer malariafreien Welt auszuwirken. Das wird gerade auch am Beispiel der Verstädterung anschaulich. Denn wo der Beton gedeiht, kann sich die Malaria-Mücke nicht reproduzieren.»


Was braucht es denn, dass zukünftige Generationen in einer Welt ohne Malaria leben können?

«Nebst einer fundierten Forschungs- und Entwicklungsagenda, einer globalen Strategie, funktionierenden Überwachungs- und Reaktionssystemen/-ansätzen braucht es vor allem auch neue transformative Werkzeuge und Ansätze: Nicht nur ein etwas besseres Medikament, sondern Innovationen, die einen erheblichen Einfluss auf die Unterbrechung der Übertragung haben.»


Hätten Sie hierzu ein konkretes Beispiel?

«Ein gutes Beispiel wäre der sogenannte Gene Drive. Das Potenzial, mit der neuen CRISPR / Cas-Methode das Genom der Mücken so zu verändern, dass ihre Vermehrung unmöglich wird. Doch was auch immer man vonseiten vieler Laborwissenschaftler hört: Eine Anwendung

des Gene Drives ist nicht vor 2030 oder gar noch später zu erwarten.»


Zur gleichen Zeit wie die SAGme veröffentlichten auch die Experten der Lancet-Kommission ihre Resultate zum gleichen Thema. Mit dem Unterschied, dass sie mit 2050 ein exaktes Jahr für die Malaria-Ausrottung nannten.

«Die Nennung eines solchen Datums ist aus wissenschaftlicher Sicht unverantwortlich, schürt falsche Erwartungen und schadet der normativen Rolle der WHO. Eine exakte Prognose ist aus zwei Gründen schwierig: Erstens wissen wir nicht, wann die neuen, wirklich transformativen Technologien für die ärmsten Menschen in weit abgelegenen Gebieten wirklich bereitstehen und angewandt werden können. Zweitens ist die Umsetzung der globalen Eliminierungsstrategie stark von der lokalen Situation, vor allem des Gesundheits- und Sozialsystems abhängig.»

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