In Afrika verlaufen wissenschaftliche Karrieren oft ungewöhnlich. Der Tansanier Athumani Mtandanguo hat sich vom Gärtner zum Wissenschaftler des Ifakara Health Instituts hochgearbeitet. Heute träumt er von einem eigenen Stück Land.
Athumani Mtandanguo legt eine Binde um den Arm eines Patienten, schenkt diesem ein aufmunterndes Lächeln. Dann sticht er eine Nadel in die Vene und zapft das Blut in die Kanüle. Alltag am Ifakara Health Institute, dem ehemaligen Feldlabor des Schweizerischen Tropeninstituts im ländlichen Tansania. Nicht alltäglich aber ist die wissenschaftliche Karriere des 50-jährigen Laborangestellten. Es ist eine Karriere, wie sie nur in Afrika möglich ist.
Der Wissenschaft war Mtandanguo als Kind begegnet. Sie war gleichsam Gast in seinen eigenen vier Wänden. Wissenschaftler des Tropeninstituts erforschten in den 1980er-
Jahren die Malaria und andere Krankheiten. Sie suchten in den Häusern der Einwohner Ifakaras nach Mücken, um sie später im Labor genau zu bestimmen. Eines Tages standen die Forscher im Haus Mtandanguos. Sie besprühten die Wände mit Insektiziden. Wie welke Blätter rieselten die Moskitos auf ein weisses Laken und wurden ins Labor gebracht. «Damals wusste ich: das wollte ich auch tun», erinnert sich Mtandanguo. Doch seine berufliche Laufbahn ist beschwerlich.
Vom Gärtner zum Insektenforscher
Der junge Mann wird am Feldlabor vorstellig. Und als Gärtner angestellt. «Ich habe den Rasen gemäht, Blumen geschnitten und den Swimmingpool gereinigt.» Doch immer öfter fährt er mit den Schweizer Wissenschaftlern hinaus in die Dörfer. Die Arbeit ausserhalb des Labors und zusammen mit den Menschen vor Ort wird zum Grundprinzip der Schweizer Gesundheitspolitik in Tansania. Mtandanguo ist ein wichtiger Verbindungsmann zwischen den Schweizer
Wissenschaftlern und der lokalen Bevölkerung. Die Forscher wollen verstehen, wo und wie sich die Menschen mit Infektionskrankheiten anstecken. Zum Beispiel mit der Bilharziose, einer heute wenig beachteten Wurmerkrankung, die von Schnecken übertragen wird. Mtandanguo folgt den Schulkindern zu den Tümpeln unweit der Siedlungen. Er bringt die vielen Schnecken ins Labor, studiert sie unter dem Mikroskop. Immer besser kennt er ihre Gattungsunter-
schiede. Er erlebt den eigenen Rhythmus der Wissenschaft, den Wechsel von Projekten und verschiedenen Krankheiten. Immer neue Aufgaben werden an ihn herangetragen.
Und immer wieder ist es die Malaria, die seine Aufmerksamkeit erfordert.
Das Feldlabor ist in grosse Malaria-Studien involviert.
Mtandanguo steht im Labor. Mit geschickter Hand seziert und bestimmt er die verschiedenen Mückenarten. Er erkennt die Insekten nicht nur durch den Blick durchs Mikroskop, sondern auch an der Art, wie sie auf einem Stück Mauer sitzen. Wenn Mtandanguo von Mücken spricht, dann schwingt Zärtlichkeit in seiner Stimme mit.
Where High-Tech Meets Poverty
Heute ist das Ifakara Health Institute eine der modernsten Forschungseinrichtungen auf dem afrikanischen Kontinent. Es mutet in der bäuerlichen Umgebung fast schon unwirklich an. High-Tech-Laboratorien, Mückenzuchten, riesige Kühlschränke, in denen die wissenschaftlichen Proben eingelagert sind. An der Wand hängt das Porträt von Julius Nyerere, dem ersten Präsidenten Tansanias. Der «Vater der Nation» versuchte die ländlichen Gegenden Tansanias zu modernisieren. Unter seiner Regierung schossen neue Siedlungen mit Schulen und Gesundheitszentren aus dem Boden. Mit geschwellter Brust und lautem Ge-
töse bahnte sich eine von den Chinesen finanzierte Eisenbahn den Weg durch den Distrikt. Sie verband die damals reichen Kupfervorkommen Sambias mit dem Indischen Ozean. Die Tanzania-Zambia Railway (TAZARA) schuf die Grundlage für eine wachsende Mobilität der Bevölkerung und für den blühenden Handel in der Region. In den Wagons stapelten sich Körbe randvoll mit Reis, Früchten, Hühnern und farbigen Tüchern, welche die Händler auf dem Markt
von Ifakara feilboten.
Heute, ein halbes Jahrhundert und etliche Wirtschaftskrisen später, ist Nyereres Traum verflogen. Es mangelt an allem: an Schulheften, an Lehrkräften, an den nötigsten Medi-
kamenten. Und die einst stolze TAZARA? Altersschwach schleppt sie sich von einer Station zur nächsten. Die Eingeweide von Rost zerfressen, ein augenfälliges Symbol des Niedergangs. Wer es sich leisten kann, zieht weg.
Altersvorsorge auf afrikanisch
Und wer es sich nicht leisten kann, der wird zum Überlebenskünstler. Der versucht, das Beste aus seinem Alltag herauszuholen und seine Zukunft zu gestalten. Wie Athumani Mtandanguo. Er träumt schon lange nicht mehr von einer wissenschaftlichen Karriere an einer Universität.
Sondern von einer Nähmaschine für seine Tochter und von einem Stück Land für sich selbst. Es ist der tansanische Traum von der Selbstbestimmung, den auch Julius Nyerere geträumt hatte. «Jeden Monat lege ich mir etwas von meinem Lohn auf die Seite», sagt Mtandanguo. Und wenn die Zeit reif ist, dann kauft er sich ein Feld, leiht sich einen Traktor von der Kooperative im Dorf, beackert das Land und pflanzt «Mais, Reis, Bananen und Cassava».
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