Helena Greter hat ein Künstlerleben für die Wissenschaft aufgegeben. Nächstes Jahr erforscht sie Parasiten in der Sahara.
Das «Haus zum Büffel» – Helena Greters Domizil im Zürcher Niederdorf – ist ein Reich der Katzen. Sie streichen einem um die Beine, jagen über den Parkettboden, vorbei am Regal mit den Ölgemälden und den Kalebassen aus Afrika und dem an der Wand aufgewickelten,
handgeknüpften Seil aus dem Tschad, verschlungen und verworren wie Helena Greters Leben selbst.
Von der Kunst zur Wissenschaft
«Wenn mir vor 20 Jahren jemand prophezeit hätte, dass ich einmal als Wissenschaftlerin in Afrika arbeiten würde, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt», sagt die 45-jährige Greter. Als sie sich mit 30 Jahren an der Uni Fribourg für ein Biologie-Studium einschrieb, da hatte sie bereits eine Lehre als Töpferin absolviert und auf diesem Beruf in Japan gearbeitet, da hatte sie bereits an der Zürcher Hochschule der Künste bildende Kunst studiert, da hatte sie
sich längst der Imkerei und den Bienen verschrieben. Im Jahr 2004 übernahm Greter von einem Imker in Zürich 15 Bienenvölker, die vor allem in den Frühlingsmonaten viel Zeit in Anspruch nehmen. «Bienen wie alle sozialen Lebewesen faszinieren mich», sagt Greter. Bei den Bienen sind alle Mitglieder der Gemeinschaft auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen: die Königin ist ohne die Drohnen und Arbeiterinnen nicht überlebensfähig. Wie auch die einzelnen Arbeiterinnen und Drohnen nur durch komplexe Arbeitsteilung existieren können.
Der Körper des Bibers als Buch der Natur
Nach einem Bachelor in Molekularbiologie wechselte Greter an die Universität Bern. In ihrer Masterarbeit erforschte sie die Rolle der Varroamilbe als Virenüberträgerin und deren Einfluss auf das Bienensterben in der Schweiz. An der VetSuisse-Fakultät studierte Greter kleinste Krankheitserreger: Viren, Bakterien, Parasiten. Und sie arbeitete als studentische Hilfskraft in Feldprojekten des Zentrums für Fisch- und Wildtiermedizin, welche die Risiken der Krankheitsübertragung zwischen Wild- und Nutztieren untersuchten. Prägend waren für Greter die Autopsien: «In der Sektionshalle ging mir eine neue Welt auf», schwärmt sie. Aus dem Körper eines toten Bibers oder eines anderen Wildtieres kann man viel über sein vergangenes Leben erfahren: seine Ernährungsweise, eventuell vorhandene Krankheitskeime oder Verletzungen zeugen von den Lebensbedingungen und bringen Unsichtbares aus der Umwelt ans Licht. «Bei der Arbeit am Sektionstisch hatte ich das Gefühl, in das vergangene Leben des Tieres in der Natur einzutauchen.»
Leberegel im Tschad
An einer Konferenz 2009 präsentierten Wissenschaftlerinnen des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) ihre Arbeiten über «One Health». Das wissenschaftliche Konzept versucht die Gesundheit von Mensch und Tier in ihren Wechselwirkungen zu erfassen. Im Publikum: Helena Greter. «Das war für mich ein Schlüsselerlebnis», sagt sie. «Endlich traf ich auf einen Ansatz, der die einzelnen Krankheitserreger, die Tiere, die Menschen und die Umwelt nicht mehr isoliert, sondern in einem grösseren Zusammenhang betrachtet.» Greter wird bei Jakob Zinsstag vom Swiss TPH vorstellig. Der VeterinärEpidemiologe leitete zusammen mit Kollegen des tschadischen «Institut de Recherche en Elevage pour le Développement» (IRED) ein grösseres Forschungsprojekt, das durch Wasserkontakt übertragene Parasiten bei Mensch und Tier im Tschad untersuchte. 2010 reisten Zinsstag und Greter zu den Nomaden in den Tschad. «Das Eintauchen in eine mir so fremde Welt war fantastisch», erinnert sie sich.
Die in der Sahelzone lebenden Nomaden wandern mit ihren Rindern über weite Distanzen immer auf der Suche nach Wasserstellen und fruchtbarem Weideland für ihre Tiere.
Ihre natürliche Lebensweise setzt sie verschiedenen Infektionsrisiken aus. Beim Menschen ist die Schistosomiasis (Schistosoma haematobium), bei Rindern sind die Leberegel-Infektionen (Fasciola gigantica) besonders gravierend. Letztere befallen die Rinder beim Grasen auf kontaminierten Weiden in der Nähe von Wasserstellen. Die Fasciola-Egel durchdringen die Darmwand der Tiere und wandern in die Leber. Mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen: Die Kühe werden mager, geben kaum noch Milch, ihre Fruchtbarkeit nimmt ab. Die Kosten für eine Behandlung von Mensch und Tier belasten das ohnehin bescheidene
Haushaltsbudget der Nomaden. «Es war ein grosses Privileg, dass ich über ein Forschungsthema arbeiten durfte, dass von den Nomaden im Tschad als Priorität angese-
hen wurde. Das schafft auch eine enge Beziehung zu den Menschen», sagt Greter. «Der partizipative Ansatz, der die betroffene Bevölkerung von Beginn in den Projektentwicklungsprozess miteinbezieht, kann verhindern, dass Forschungsthemen von aussen aufoktroyiert werden.» Die Nomaden tun alles, um sich und ihre Tiere zu behandeln. Greter und ihr tschadisches Team stellten fest, dass ihnen dabei meist die falschen Medikamente zur Verfügung stehen. Für die Behandlung der Schistosomiasis beim
Menschen und Fasziolose beim Rind wird der Wirkstoff «Albendazol» verwendet. Dieser hilft gegen viele Wurmerkrankungen, nicht aber gegen die Pärchen- und Leberegel.
Wirksame Medikamente sind im drittärmsten Land der Welt Mangelware.
Im Krisengebiet
Die Arbeit mit den Nomaden wurde von politischen Ereignissne überschattet. Die Region um den Tschadsee ist zu einem gefährlichen Krisenherd geworden. Als Reaktion auf die zunehmende Präsenz der Terrormiliz Boko Haram erklärte die Regierung das Gebiet Ende 2014 zur militärischen Sperrzone. Über zwei Millionen Menschen sind in der Tschadseeregion auf der Flucht. Helena Greter musste ihre Forschungsarbeiten im Gebiet einstellen. Sie schloss ihre Doktorarbeit am Swiss TPH 2016 erfolgreich ab und kehrte bald darauf mit Médecins Sans Frontières (MSF) an den Tschadsee zurück. Die humanitäre Organisation versuchte mit Impfungen die rasche Verbreitung von Krankheiten einzudämmen. Die Epidemiologin Helena Greter evaluierte die Kampagne. «Ich hoffte, mit MSF als starkem medizinischen Partner den Betroffenen eine Behandlung gegen Schistosomiasis zu ermöglichen», sagt Greter. Doch der Rückzug von MSF aus dem Gebiet des Tschadsees Anfang 2018 machte dieses Vorhaben zunichte.
Pärchenegel in den Ounianga-Seen
Um den Kampf gegen die Schistosomiasis im Tschad fortzusetzen, hat sich Greter jüngst in Richtung der Seen von Ounianga in der Sahara gewandt. Die Seen sind ein einzig-
artiges Wunder der Natur. Seit Jahrtausenden überdauern diese grünen Inseln inmitten eines Meeres aus Sand. Gespiesen durch ein riesiges Reservoir fossilen Grundwassers. Sie sind Relikte aus einer Zeit, in der sich hier eine fruchtbare Feuchtsavanne erstreckte. Seit 1999 sind auch tschadische und deutsche Klimaforscher in diesem Gebiet aktiv. Sie unternehmen Sedimentbohrungen, um dem über Jahrtausende andauernden Klimawandel nachzuspüren.
Nach einer dieser Expeditionen zu den Ounianga-Seen erkrankte der Expeditionsleiter Stefan Kröpelin an einer schweren Schistosomen-Infektion. «Da wurde ich sofort hellhörig», erzählt Helena Greter. Wie sind die Erreger in diese abgelegenen Seen gelangt? Stammen sie aus einer
Zeit, als die Sahara noch fruchtbar war? Oder wurden sie später durch Karawanen-Routen in die Seen gebracht? Im Januar wird sich Helena Greter zusammen mit ihren tschadischen Kollegen vom IRED in das neue Abenteuer stürzen. Eine einzigartige Möglichkeit, eine Krankheit in ihrer natürlichen Umgebung zu studieren. «Wir hoffen, gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung Ansatzpunkte zu identifizieren, um die Krankheit zu bekämpfen», sagt sie.
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